Am 5. Juni stimmen wir über das Partnerschaftsgesetz ab. Sollen schwule und lesbische Paare "heiraten" können, lautet die zentrale Frage, die wir als Gesellschaft zu beantworten haben. Vor kurzem sahen wir 4 Millionen Christen, darunter ausgesprochen viele Jugendliche, die der Beisetzung von Papst Johannes Paul II. beiwohnten, der zu Lebzeiten die Homosexualität stets verurteilte und sich gegen Abtreibung und vorehelichen Beischlaf aussprach. Was ist los mit unserer Moral und unserem Sexualverhalten.
Wie Becker und Posner richtig feststellen, hat sich die sexuelle Moral und Praxis im letzten Jahrhundert stark gewandelt. Ausgehend davon, dass Sex einen positiven Nutzwert für die Beteiligten aufweist (Befreidigung, Wohlbefinden, Lust), führen sie die Ursache für das gewandelte Sexualverhalten vor allem auf die Kosten zurück. Der Genuss von Sex ist heute mit ungleich tieferen Kosten verbunden als vor 100 Jahren. Ungewollte Schwangerschaften und Krankheiten lassen sich heute effektiv und ohne grossen Aufwand vermeiden dank billigen Medikamenten und Verhütungsmitteln.
Wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen haben gleichzeitig dazu geführt, dass heute später, weniger häufig und weniger lang geheiratet wird als früher. Frauen wie Männer kommen in den Genuss einer Berufsbildung, können ihren Lebensunterhalt selber verdienen und werden dadurch unabhängig. Dank neuer Technologie und neuen Geräten lässt sich der Haushalt mit weniger (Zeit-)Aufwand erledigen als früher (Man stelle sich mal vor, Windeln von Hand zu waschen...). Der Nutzwert der Ehe hat dadurch abgenommen und die Opportunitätskosten fürs Kinderkriegen und das Zusammenleben sind gestiegen. Der "Kostenfaktor Kind" macht sich aber nicht primär in Gesellschaftsschichten mit tieferem Einkommen bemerkbar, wie man fälschlicherweise oft annimmt, sondern bei Ehepaaren mit hohem Einkommenspotenzial, weil hier die Opportunitätskosten viel stärker ins Gewicht fallen. Akademiker-Ehepaare kriegen statistisch unterdurchschnittlich viele Kinder. Fazit: Die Zahl der Ehen nimmt ab, und Paare bekommen weniger Kinder. Verstärkt wurde diese Tendenz durch die stetig gesunkene Streblichkeitsrate bei Kindern und durch die Einrichtung von Sozialversicherungen, welche die Kinder als Altervorsorge ablösten.
Verringert haben sich auch die Kosten und Hürden einer Scheidung. Rechtlich sind Scheidungen heute einfacher zu vollziehen als früher, wo eine Trennung je nach Recht (fast) ausgeschlossen war. Mann und Frau sind dank Berufsbildung in der Lage, ihre Existenz selber zu sichern, und ein Einpersonenhaushalt ist heute kein Ding der Unmöglichkeit mehr.
Die Folge all dieser Entwicklungen ist, dass die sexuelle Betätigung ingesamgt steigt (geringere Kosten und Risiken) und dass die Zahl ausser- bzw. nicht-ehelicher Sexualkontakte zunimmt gegenüber Sex in der Ehe, weil die Leute eben im Durchschnitt weniger oft und weniger lange verheiratet sind und nicht mehr darauf angewiesen sind, im Team einen Haushalt zu führen.
Je häufiger aussereheliche Sexualkontakte auftreten, desto eher empfindet sie eine Gesellschaft als etwas Normales. Die sexuelle Betätigung löst sich vom Institut der Ehe als Lebensgemeinschaft und vom Zweck der Fortpflanzung und Existenzsicherung. Es ist auch nicht mehr zwingend, dass Sexualkontakte immer zwischen Mann und Frau stattfinden. Ein Mann oder eine Frau, die im Alter von 40 alleine lebt und nicht (mehr) verheiratet ist, wird von der Gesellschaft deswegen nicht geächtet.
Infolge technischer und wirtschaftlicher Veränderung wird die sexuelle Betätigung heute für weder gefährlich noch existenziell angesehen. Damit wird es zur moralisch indifferenten Tätigkeit wie Essen und Trinken. Damit bekundet vor allem die katholische Kirche Mühe, die hohe moralische Anforderungen an das Intimleben stellt. Die Kirche ist in den letzten Jahren wohl kaum konservativer geworden als früher punkto Sex, doch wird dies so emfpunden, weil sich die gesellschaftliche Wertanschauung gewandelt hat - zwar nicht von allen, wie die Anhängerschaft von Papst Johannes Paul II. belegt - aber von vielen.
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